… eine Buchvorstellung zu Eckart von Hirschhausen und Tobias Esch: Die bessere Hälfte : worauf wir uns mitten im Leben freuen können (ISBN 978-3-498-03043-8)
Jedem Anfang wohnt ja bekanntermaßen ein Zauber inne. Diesem Ruf von Schriftstellerikone Hermann Hesse folgend, verstärke ich seit April dieses Jahres das hiesige Team der Stadtbibliothek.
Die Welt mit neuen Augen sehen […], nicht als Experte, sondern als Fragender. Beginners Mind, der Geist des Anfängers, so drücken es Eckardt von Hirschhausen und Tobias Esch in ihrem Bestseller Die bessere Hälfte : worauf wir uns mitten im Leben freuen können aus. Denn trotz langjähriger Berufserfahrung in einem großstädtischen Bibliothekssystem bin ich hier in Goslar zunächst einmal ein Neuling. Gewohntes loszulassen fällt uns Menschen ja naturgemäß oftmals schwer, allerdings hat eine Minderheit von rund 20 Prozent […] genetisch bedingt mehr Spaß am Neuen. Forscher nennen sie Sensation seakers – das heißt, sie suchen Aufregung und sind auf den Kick aus. Extremere Exemplare dieses Typus finden ihn in Glücksspielen und riskanten Sportarten, eine mildere Form dieser Genvariante treibt Menschen an, die von anderen als offen und neugierig wahrgenommen werden und viel wissen wollen. Offen und neugierig sind Charaktereigenschaften, die ich mir persönlich durchaus auch zuschreiben würde, dessen ungeachtet gehöre ich wohl eher zu den 80 Prozent, denen der Wunsch nach Routine, Verlässlichkeit und Ritualen deutlich ausgeprägter in die Wiege gelegt worden ist.
Dennoch habe ich den Sprung aus Wolfsburg nach Goslar gewagt und stecke nach einer erlebnisreichen Eingewöhnungsphase bereits mittendrin in meinen neuen Aufgaben. Und wenn auch nicht alles zu 100 Prozent rund lief, kann ich trotz allem behaupten, endgültig angekommen zu sein. Somit gehöre ich zu denjenigen unter uns, die die Angst vor dem Unbekannten besiegt und den Sprung ins kalte Wasser tatsächlich gewagt haben. Der Stern thematisiert dies in dem Aufsatz Loslassen lernen: Warum uns Veränderungen so schwerfallen und schreibt dazu: [Erst] dann wirkt der beschützende Zauber, der jedem Anfang innewohnt, wie es Hermann Hesse in seinem Gedicht Stufen so treffend beschrieben hat.
Apropos: Obgleich für wie so viele andere auch ein Held meiner Jugend, nehme ich heute doch eher Ratgeber- und Sachliteratur wie das diesem Weblog-Artikel titelgebende Buch der beiden bekannten Mediziner in die Hand. Ratgeber haben schließlich Konjunktur, und als leidenschaftlicher Bibliothekar projiziere ich dessen Inhalt flugs auf meine eigene berufliche Situation. Freilich, ich hatte zunächst wirklich lange gezögert, eine Veränderung herbeizuführen. Mittlerweile jedoch fühle ich mich zunehmend wohler in meiner neuen Rolle, denn letztendlich gilt: Wo immer du hingehst – da bist du dann. Anwesend sein, mit allen Sinnen präsent, denn eigentlich gibt es ja nur das Jetzt. Dieses Prinzip (Wherever you go – there you are) stammt von Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn, der Ende der 70er Jahre das Programm Mindfulness-Based Stress Reduction unter die Leute brachte.
Überhaupt. Die beiden Glücksforscher geizen nicht mit ihrem Wissen. Gekonnt spielen sie sich die Bälle zu und lassen die Leser*innen spüren, dass ihnen das Thema wichtig ist. Zudem sind sie humorvoll. Beispiele gefällig?
Hirschhausen: Die Jüngeren können schneller rennen, die Älteren kennen die Abkürzung.
Hirschhausen: Wo Anti-Aging draufsteht, ist selten Lebensfreude drin. Man schmiert sich ja jeden Tag quasi den Hass auf die Zukunft ins eigene Gesicht.
Esch: Man sollte etwas haben, an das man glaubt. Das muss kein Gott sein, das kann auch der Fußballverein sein.
Hirschhausen: Was passiert, wenn man einen Zeugen Jehovas mit einem Atheisten kreuzt? Jemand klingelt ohne Sinn an deiner Tür!
Einfach ein Buch mit Gleit- und Weitsicht ;-=====).
Steffen Sieboth