… eine Buchvorstellung zu Jürgen Kaube: Hegels Welt (ISBN 978-3-87134-805-1)
Der Traum vom Fliegen ist beinahe so alt wie die Menschheit selbst. Es war das Jahr 1783 und den Brüdern Joseph Michel und Jacques Étienne Montgolfier, Papierfabrikanten aus einer Gemeinde im südfranzösischen Département Ardèche in der Region Auvergne-Rhône-Alpes, vorbehalten, erstmals in der Historie und als Resultat voranschreitender Forschung und Experimente, einen bemannten Heißluftballon aus Leinen, fortan Montgolfière genannt, fliegen zu lassen – ganz ohne kommerzielle, politische oder gar religiöse Beweggründe, sondern einzig und allein deshalb, weil es möglich war. Dieser Geisteshaltung wies der Althistoriker Christian Meier den modernen Begriff Könnensbewusstsein zu: Handeln, nicht etwa, um etwas zu erlangen, sondern, weil es geht.
Idealismus ist „philosophisches Könnensbewusstsein“. Der (Deutsche) Idealismus, neben einer Handvoll weiterer Persönlichkeiten von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (von seinen Eltern Wilhelm gerufen) entscheidend geprägt, entwarf Gedankengebäude, die die Welt um 1800 im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf stellten.
Und so habe ich mir als Bibliothekar und interessierter Laie bereits nach der Lektüre des ersten Kapitels („Hegel geht zur Schule“) gleich mehrere Zitate notiert, um sie in abgewandelter Form gegebenenfalls anzuwenden, steht doch gerade die Fähigkeit, anderer Leute Meinungen mit eigenen Worten zusammenfassen zu können, im Zentrum des Hegelschen Bildungskonzepts. Darüber hinaus befähigen diese sprachliche und gedankliche Adaption, das an einem Fall Verstandene gewinnbringend auf andere Fälle anzuwenden, Unterschiede und Gemeinsamkeiten hervorzukehren und entsprechend zu nutzen.
„Nachdenken und die Kenntnis der Welt“ vermochten bereits dem jungen Hegel Trost zu spenden. Denn nachdem Hegels Mutter, deren Wunsch es war, ihn zum Pfarrer auszubilden, bereits im frühen Teenageralter des Jungen verstarb, schied nur wenig später in Johann Jakob Löffler, seinem Lieblingslehrer, eine weitere „verehrte“ Bezugsperson dahin.
Später, am Tübinger Stift, einer 1536 gegründeten, theologischen Lehranstalt und „inmitten einer furchteinflößenden Stadt“ gelegen, gehörten Friedrich Hölderlin und „Überflieger“ Friedrich Wilhelm Joseph Schelling zum gleichen Jahrgang wie der junge Hegel, der bis dato „einen Haufen Wissen angesammelt [hat], von dem unklar ist, was er daraus machen wird“.
Diese „Sphäre der Bildung“ sollte Hegel im weiteren Verlauf seines Lebens nicht mehr verlassen. Insofern war sein Weg vom Schüler beziehungsweise Studenten hin zu einem Universitätsprofessor in Berlin gewissermaßen vorgezeichnet, obgleich, und das war das Besondere jener Zeit, kaum vorherzusagen war, „was aus ihm werden würde“. Zu bedeutend waren die gesellschaftlichen Umbrüche, deren Zeuge er wurde. Und es galt längst nicht mehr als ausgemacht, dass die nachfolgenden Generationen den ihnen zugedachten Platz innerhalb der Gesellschaft einnehmen würden. Hegel jedenfalls dachte „keine Sekunde daran“, den Beruf des Pfarrers zu ergreifen.
Der Rest ist Geschichte.
Es ist insbesondere Autor Jürgen Kaube zu verdanken, der mit seiner ebenso verständlichen wie unterhaltsamen Biografie dafür sorgt, dieser schwierigen Thematik (eine Art Geheimwissenschaft) folgen zu können, ohne dabei Kopfschmerzen zu bekommen. Dementsprechend wird sein Buch von der Presse gelobt, die Süddeutsche Zeitung beispielsweise berichtet von einem großen Bildungserlebnis.
Das schwer Verständliche kommt womöglich noch, denn „niemand findet sich in Hegels Werk allein zurecht“ (heißt es in der Danksagung der mir vorliegenden Biografie). Diese ist mit knapp 600 Seiten entsprechend umfangreich bemessen, denn schließlich gilt, um mit Hegel selbst zu sprechen
Der Weg des Geistes ist der Umweg
In diesem Sinne
Steffen Sieboth